Vereinsgeschichte

Zu den Anfängen des Chorgesangs in Stadtallendorf

 

Der Männergesangverein (MGV) nennt zwei Fahnen sein Eigen. Die eine trägt den Namen „Kirchenchor Cäcilia  Allendorf 1890“, die andere „Männer-Gesang-Verein e.V. Allendorf 1923“. Weiter geht aber auch aus den Vereinsakten hervor, dass die Sänger vor 1923 als „Gesangsabteilung im St.-Josephs-Verein“ organisiert waren.

Und jetzt wollen wir unser 125. Vereinsjubiläum, also mit Bezug auf das Jahr 1891, feiern. Wie passt das zusammen?

 

 

Leichter nachvollziehen lässt es sich mit Kirchenchor Cäcilia. Dieser bestand seit dem Jahr 1890. Als der Chor aber im Laufe der Zeit immer weniger Sänger aufzuweisen hatte, war er nicht mehr singfähig. Im Jahr 1952 stellten die letzten Vertreter des Kirchenchores beim MGV einen Antrag, der MGV möge weiterhin ihren Chor vertreten und insbesondere bei kirchlichen Anlässen für diesen mitwirken. Aber auch bei besonderen Anlässen der noch lebenden Kirchenchormitglieder singen zu wollen. Als Beispiele werden hier Goldene Hochzeiten oder deren Ableben genannt. Der MGV übernahm also die Nachfolgeschaft – samt Vereinsfahne.  

 

Der heutige MGV hatte ursprünglich seine Gründung auf das Jahr 1923 bezogen und so hatte man noch im Jahre 1963 das 40. Vereinsjubiläum gefeiert. Im Jahre 1969 wurde aber in alten Vereinsakten eine Satzung aus dem Jahre 1891 gefunden. Sie betraf den „Gesangverein Gregoriana in Allendorf“. Nach „reiflicher Prüfung“ beschloss die Hauptversammlung des MGV im Januar 1970, diesen Männergesangverein als Vorläuferverein anzuerkennen und dessen Gründungsdatum 1891 für den MGV zu übernehmen. So konnte man schon acht Jahre nach dem 40er-Jubiläum den 80. Geburtstag feiern.

Jetzt wissen wir aber auch, dass die Sänger vor 1923 als Gesangsabteilung im „Männer- u. Arbeiter-Verein Allendorf“ organisiert waren. Also nicht mehr im „Gregoriana 1891“. Was war hier geschehen?

 

Neben dem Kirchenchor „Cäcilia“ war auch der „Gesangverein Gregoriana“ stark kirchlich ausgerichtet. Als Vereinszweck ist in der Satzung unter § 1 festgehalten: „Pflege des vorwiegend kirchlichen Gesanges …“.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts hatte man von katholischer Seite als Antwort auf die sich entwickelnde neue Arbeiterklasse begonnen, Arbeitervereine zu gründen, so auch Weihnachten 1899 den „Katholischen Männerverein St. Joseph, Allendorf“. Dieser war besonders auf die jungen Männer ausgerichtet. Aus einem Vermerk entnehmen wir, dass sich im Jahre 1911 dort eine Gesangsabteilung bildete. Spätestens zu dieser Zeit dürften dann die Sänger den „Gregoriana“ aufgegeben haben und wechselten in die Gesangsabteilung des „St-Josephs-Vereins“.

Im Jahr 1923 gab es dann wieder einen Wechsel. Die Sänger verließen die Gesangsabteilung und gründeten wieder einen eigenständigen Männergesangverein. Fickert berichtete später über diese Zeit, dass die „jungen Männer danach strebten, sich aus der Enge der Gesangsabteilung zu lösen“.

Die Arbeitervereine waren anfangs von „oben“ gegründet worden, das heißt, Vorgaben und Statuten wurden von bischöflicher Seite vorgegeben. Die Führung in den Ortsvereinen erfolgte durch die Geistlichen, dem Pfarrer oder Kaplan. Schwerpunkte des Vereins waren zum Beispiel „Einführung von religiösen Sonntagen“ oder auch „Intensivierung der religions- u. familienpädagogische Bildung“.

Bemerkenswert ist aber auch, dass diese Sänger im Jahre 1923 einen „weltlichen“ „Männergesangverein Allendorf“ gründeten. Jetzt war der Vereinsname ohne kirchlichen Bezug und der Vereinszweck war: „Pflege des deutschen Liedes und gesellige Vereinigung“. Es wird keine Verpflichtung zum kirchlichen Gesang erwähnt. Freigeister in Allendorf?

Am 01. Juli 1933 wurde der Verein vom Sturmführer Karl Schäfer aus Kirchhain für aufgelöst erklärt und mit gleichem Tag wieder neugegründet. Die Neugründung erfolgte „durch den vorgenannten Herrn auf der von der neuen Regierung gewünschten Grundlage“. Es wurde ein neuer Vorstand eingesetzt und der Auftrag erteilt, eine neue Satzung zu erstellen. Im Frühjahr 1934 wurde die Satzung im Sinne der „Gleichschaltung“ fertiggestellt und neu eingetragen. Gleichschaltung bedeutete, der Inhalt musste voll der einheitlichen Nazi-Ideologie entsprechen. So wurde das strikte Führer-Prinzip festgeschrieben und zum Beispiel durften nur noch Arier im Verein sein. Allerdings nahm man aber jetzt auch wieder den Bezug zur Kirche und Mitwirkung bei dieser in die Satzung auf. Für die Zeit nach Januar 1939 fanden sich bisher keine Unterlagen über weitere Vereinstätigkeiten.

 

Die erste Nachkriegsversammlung fand im Januar 1947 statt. Dort ist vermerkt, dass der Verein, wie alle anderen Vereine auch, zwischenzeitig von der (amerikanischen) Militärregierung aufgelöst worden war und nach Neubeantragung die Zulassung bekam.

Die Satzung aus dem Jahre 1934 wurde im Jahre 1962 durch Änderung wieder dem demokratischen System angepasst – wenn leider auch nicht in der kompletten Wortwahl.

 

Die zeitliche Aufeinanderfolge der drei oben genannten Vereine lässt sich zum Beispiel auch an dem Sänger Karl Franz Görge (mit Dorfnamen: der „Kappemächer“) nachvollziehen. Er war im Jahr 1891 als Kassierer Mitunterzeichner bei der Satzung des „Gesangvereins Gregoriana“. Seine Mitgliedschaft in der nachfolgenden „Gesangsabteilung des St.-Joseph-Vereins“ bezeugt seine Teilnahme am ersten Sangeswettstreit im Jahr 1921 in Fulda und auch auf dem Foto von 1922 in Laasphe ist er zu sehen. Die Mitgliedschaft im 1923 gegründeten MGV beweist ein jetzt gefundener Zeitungsartikel aus dem Jahre 1928. Karl Franz Görge (1852-1932) befindet sich in jenem Jahr mit dem MGV in Marburg zum „Frühjahrs-Gausingen“ und bekommt mit zwei weiteren Allendorfer Sängern den Ehrenbrief des deutschen Sängerbundes für sein 50-jähriges Sängerjubiläum überreicht.

 

Die Recherchen in den letzten Wochen ermöglichen jetzt ein durchgängiges Bild von den Anfängen des Vereins bis in die heutige Zeit. Es ist nicht nur ein Verein, in dem man singt. Interessant ist dabei das Eintauchen in die Ortsgeschichte und es lässt sich der jeweilige Zeitgeist erfahren.

 

Den Wert eines solchen Vereins würde mancher erst wirklich ermessen, wenn es einen solchen nicht mehr geben sollte.

 

Arnold Schmitt im Frühjahr 2016